Sunday Roast

Als ich meine Schüler fragte, was sie am meisten vermissen würden, wenn sie nicht mehr in Grossbritannien wohnen würden, war die häufigste Antwort, den Sunday Roast. Ein Sunday Roast ist eigentlich einfach ein Sonntagsbraten, der aber viel regelmässiger, für die meisten wöchentlich, zu sich genommen wird. Ganz mutig haben wir es gestern gewagt, dieses Nationalgericht zu probieren. Wir waren nicht die einzigen. Im ersten Restaurant hat man uns gesagt, in 40 min sei vielleicht wieder etwas frei. Aus dem Beitrag von gestern kann man vielleicht erraten, dass ich so etwas nur ganz mässig lustig finde. So sind wir weiter gezogen. Das Pub hiess Temple Bar. Ein irisches Pub, was manche unter euch vielleicht am Namen erkannt haben. Die Ernüchterung folgte sofort: Es gab nicht einen freien Platz mehr. Der mollige Wirt mit glühenden Wangen hat aber bedauernd versprochen, wenn wir draussen warten würden, dann würden wir einen Tisch bekommen, bis unser Essen bereit sei. Nicht gerade überglücklich, aber mit der Erwartung, dass es wahrscheinlich überall etwa gleich aussehen wird, haben wir das Angebot angenommen. Die Auswahl war dann eher einfach: Sunday Roast with beef/lamb/pork/vegetarian. Draussen hat es trotz dem frischen Wetter auch keinen freien Tisch gehabt, so haben wir uns an einen grossen Tisch gesetzt, an dem nur ein Mann sass. Dieser wollte dann auch sofort an unserer Konversation teilnehmen und hat sehr wichtige Dinge, wie, dass er nicht jede Woche, aber fast jede Woche komme, mitgeteilt. Meine Hungergefühle habe ich nicht für mich behalten, weshalb unser netter Tischgenosse mir seinen „bread loaf“ (sieht ein wenig aus, wie der Teig von einem Pastetchen) angeboten hat. Die anderen haben sogleich eingeworfen, dass ich dann meinen eigenen Teller nicht mehr aufessen könne. Dies mag wahr sein, aber in diesem Fall war es definitiv eine fataler Fehler, das Angebot abzulehnen. Nach einer guten halben Stunde gab man uns einen Tisch. Damals kamen naive Gefühle auf, wie, das ist jetzt trotzdem schneller gegangen als erwartet. Das Essen blieb nämlich aus. Grausam hat man uns die Möglichkeit gegeben, in die Küche zu spähen. Aufs Genauste konnten wir beobachten, wie der Koch in aller Seelenruhe Teller auf Teller anrichtete. Die Serviertochter brachte sie raus, schaute uns an, aber jedes Mal bog sie ab und lief zu einem anderen Tisch. Die Nerven lagen blank. Gierig beobachteten wir die schmatzenden Gäste neben uns (natürlich haben sie nicht geschmatzt, aber in solchen Situationen versteht man keinen Spass) oder stellten Theorien auf, wie wir das Personal am besten bestrafen könnten. Um 20 vor 3, nach anderthalb Stunden, war es dann endlich soweit, sie kam zu uns, brachte einen richtigen Teller mit richtigen Essen drauf. Nicht mehr zu halten, stürzten wir uns darauf. Kein Wort war mehr zu vernehmen, bis auch der letzte Bissen verschwunden war. Es war gut, vielleicht sogar die Warterei wert, aber nicht wiederholungsbedürftig.