Even Song

Sobald der Teekonsum den Kaffekonsum überholt hat, merkt man, dass man sich wieder voll in Grossbritannien eingelebt hat.

Mein seit meiner Rückkehr aufregendstes Erlebnis war ein Konzert, welches unser Chor letzten Samstag in der Kathedrale gegeben hat. Ja, eure Bloggerin ist nicht nur talentiert, wenn es um Worte geht, sondern auch sonst ein Star. Aber nun genug des Sarkasmus‘, die niederste Form des Humors, wie mir mitgeteilt wurde, aber auch die von den Engländern am meisten geschätzte und verwendete Form des Humors, was dann nicht ganz ohne einen gewissen Stolz dieser Mitteilung angefügt worden ist.

In aller Frühe haben wir uns am Samstagmorgen um 10 Uhr in der Kapelle eingefunden, zur ersten und einzigen Probe. Wer sich jetzt heimlich denkt, dies sei ein wenig riskant, wenn man am selben Tag das Konzert geben wird und die Lieder noch nie gesungen hat, der aber nichts zu sagen getraut, den kann ich beruhigen: Ich habe diese Bedenken durchaus geteilt. Die Spannung war auf das Gesicht des Dirigenten gezeichnet. Unzufriedener habe ich ihn selten erlebt. In meinem Kopf haben sich mehrere Dialoge abgespielt, in denen ich ihm klarmachte, dass es vielleicht nicht einmal das Dümmste gewesen wäre, hätte man eine zweite Probe organisiert, von unserem Level kann man ja nicht direkt behaupten, es sei ihm unbekannt gewesen. Ausserdem findet dieses Konzert jedes Jahr seit geschätzten tausend Jahren statt.  Nachdem wir durch jedes Lied gehetzt worden waren, hat er uns in die Mittagspause entlassen. 

Zusammen mit meiner Nachbarin und einer anderen Dame, die sich uns angeschlossen hat, haben wir uns ins Kathedralencafé begeben. Als die leicht schrullig wirkende Dame eine Serviette holen gegangen ist, hat sich meine Nachbarin verschwörerisch nach vorne gebeugt und geflüstert, bei der anderen Frau handle es sich um ihre Ex-Schwägerin. Um ihrer Aussage noch mehr Wirkung zu verleihen, hat sie noch ein leicht entnervtes Lachen angehängt. Diese verärgerte Miene ist aber noch in derselben Sekunde, in der diese Ex-Schwägerin sich wieder zu uns setzte, zu einem honigsüssen Lächeln geschmolzen. Sofort haben sich die beiden gegenseitig nach gemeinsamen Bekannten und Verwandten erkundigt. Das Gespräch schleppte sich eher mühsam dahin, wobei beide, um der unlieben Konversation auszuweichen, mir noch so gerne erklärten, wer denn jetzt die Protagonisten ihrer Konversation seien.

Meine Nachbarin wie auch ihre wenig geschätzte Ex-Schwägerin schienen beide nicht wenig erleichtert, als wir in die Nachmittagsprobe mussten. Diese fand im Chorgestühl der Kathedrale statt, was dem ganzen einen ziemlich epischen Touch (um hier ein wenig Jugendsprache zu verwenden) verlieh. Genau Zeit für noch einen Durchgang. Dem Dirigent schien plötzlich alles sehr viel besser zu gefallen. Nach jeder Passage wurden ein paar Komplimente gestreut. Wie wichtig man sich doch plötzlich fühlt, wenn ein paar bewundernde Touristen ein Foto von einem schiessen.

Vor dem eigentlichen Konzert gab es dann noch eine ‚tea‘-Pause. Manchmal denkt man fast, die wollen ihre eigenen Clichés aufrechterhalten. Nach einem wärmenden Tee hat mich meine Nachbarin geradeaus gefragt: ‚Are you a rock girl?‘ So viel Ausdruckskraft hätte ich meinem schwarzen Spitzenkleidchen jetzt gar nicht zugetraut. Fast ein bisschen peinlich berührt von so viel Direktheit habe ich genickt und eine Konversation über den Unterschied von Gothic und Rock vermieden. Wer weiss schon genau, was dieser Gothic genau ist. Zufrieden und ein bisschen aufgeregt hat sie darauf erzählt, dass sie immer wieder an Konzerte gehe und ich ja auch einmal mit ihr kommen könne. Höflich, wie ich mich zu geben versuche, habe ich das Angebot gerne angenommen.

Nun, jetzt wäre es vielleicht an der der Zeit, zuzugeben, dass es sich bei dem von mir so selbstverständlich gebrauchten Wort Konzert eigentlich nicht um ein wirkliches Konzert handelt, sondern um einen musikalischen Gottesdienst. Konzert klingt eben schon ein wenig cooler und man will sich ja schliesslich seinen eigenen Ruf bewahren.

Fröstelnd haben wir uns im Seitengang der Kathedrale wieder getroffen. Ohne Skijacke ist eine Kathedrale im Winter eben auch nur begrenzt gemütlich. Während wir dort auf unseren Auftritt warteten, bin ich mir ein wenig wie Mitglied einer ungehobelten Schulklasse vorgekommen. Gewisse Tenöre konnten ihr Stimmchen einfach nicht schonen und mussten sich den anderen in einer Lautstärke mitteilen, obwohl vorne der Gottesdienst schon seinen Anfang genommen hat. Das Konzert selber ist meiner Meinung nach, dann eigentlich sehr gut vonstatten gegangen. Leider muss man ehrlicherweise auch zugeben: Was klingt nicht toll, wenn es in einer riesigen Kathedrale gesungen wird.

Nach dem Gottesdienst ist der Dirigent dann zu mir gekommen und hat mir für meine Teilnahme gedankt. Verschmitzt hat er mir dann zugezwinkert und geflüstert ‚was crap, wasn’t it‘ Nun einerseits beleidigt mich das ja ein wenig, da ich Teil des Chores war, andererseits hat er mein musikalisches Können masslos überschätzt, da er der Meinung sein muss, dass meine musikalischen Ambitionen und mein Talent dem Niveau des Chores nicht entsprechen. Nun manchmal kann man die Dinge eben besser geniessen, wenn man auf tieferem Niveau ausharrt, genauso wie das mit dem Sarkasmus ja eben auch der Fall zu sein scheint.

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